Es ist Anfang März und bitterkalt. Die Schneefelder ringsum glitzern in der morgendlichen Sonne. Auf dem weitläufigen Parkplatz des Berghotels Carezza in den Südtiroler Alpen hat sich ein gelber Niederflur-Gelenkbus breit gemacht. Hier oben auf 1.750 Meter Höhe wirkt der Stadlinienbus irgendwie fehl am Platz. Ein Passant bleibt stehen und betrachtet verwundert die kleine weiße Wolke, die sich langsam aus den Dachaufbauten kräuselt.
Testfahrt über die Alpen.
Mit dem eCitaro fuel cell im Winter auf Erprobungsfahrt.
Mit Volldampf voraus.
Es ist tatsächlich Wasserdampf, der in der kalten Bergluft kondensiert – ein untrügliches Zeichen, dass die Brennstoffzelle auf dem Dach des Busses bei der Arbeit ist. Aus Wasserstoff und Luftsauerstoff wird Strom erzeugt – mit Wasserdampf als einziger Emission.
Bei dem Gelenkbus handelt es sich um einen von vier Prototypen des eCitaro fuel cell. Der erste Elektrobus von Mercedes-Benz, bei dem ein Brennstoffzellensystem für eine Verlängerung der Reichweite sorgt, befindet sich auf einer Erprobungsfahrt durch die Alpen.
„Während der Fahrt überwachen die Testingenieure ständig unzählige Messstellen und Daten.“
Mit dem Daimler Buses Testteam unterwegs.
Das Omnibus Magazin ist mit einem Team von Testingenieuren aus dem Mercedes-Werk Mannheim unterwegs. „Wir wollen hier in den Alpen bei winterlichen Temperaturen vor allem das Kaltstartverhalten der Brennstoffzelle und die Funktionsfähigkeit des völlig neu ausgelegten Thermomanagements des eCitaro fuel cell erproben“, sagt Testleiter Jonas Steinki. Zugleich sollen die Fahrten auf Höhen jenseits von 1700 Metern Erkenntnisse über die Funktion des Brennstoffzellensystems in großen Höhen liefern. Darüber hinaus kann das neue Antriebssystem bei anspruchsvollen Passfahrten mit Steigungen und Gefällen von bis zu 15 Prozent seine Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen.
„Während der Fahrt überwachen die Testingenieure ständig unzählige Messstellen und Daten“, erklärt Steinki. Neben den Temperaturen von Batterie, Brennstoffzelle, Motoren und Fahrgastraum sind das unter anderem der Energieverbrauch des Antriebs und der Heizung, aber auch andere Nebenverbraucher, wie die Ladestandsanzeige der Batterien oder die Füllstandsanzeige der Wasserstofftanks. Die Testingenieure Rainer Bickel, Stephan Lutz und Hannes Mayer überwachen auf ihren Monitoren ununterbrochen alle wichtigen Parameter, suchen nach Auffälligkeiten und gleichen die Daten mit den errechneten Sollwerten ab.
Lange und steile Passstrecken.
Der mehrtägige Test beginnt mit einer Alpenüberquerung von Neu-Ulm über Füssen, Fernpass, Reschenpass bis Bozen. Die Kombination aus vier Batteriepaketen á 98 kWh und 30 Kilogramm Wasserstoff an Bord sollte für die 350 Kilometer lange Strecke rein rechnerisch mehr als ausreichen. Dennoch lässt sich der Energieverbrauch auf den langen und steilen Pässen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt vorab nur schwer abschätzen. Das Team entschließt sich daher, kein Risiko einzugehen und vorsichtshalber auf dem Rasthof Allgäuer Tor die Batterien noch einmal auf einen SoC (Englisch: State of Charge = Ladezustand) von 93,5 Prozent nachzuladen.
„Das Thermomanagement nutzt die Abwärme der Brennstoffzelle gewinnbringend für die Temperierung des Innenraums.“
Schon auf dem Weg über den Fernpass wird klar: Der eCitaro fuel cell schlägt sich auf der anspruchsvollen Strecke hervorragend. „Trotz der Steigung arbeitet die Brennstoffzelle im effizientesten Leistungsbereich von 20 bis 30 kW“, erläutert Rainer Bickel und deutet auf den entsprechenden Wert auf dem Monitor. „Zudem nutzt das neue Thermomanagement die Abwärme der Brennstoffzelle gewinnbringend für die Temperierung des Innenraums. Die Elektroheizung kommt daher kaum zum Einsatz, und der Energieverbrauch aller Nebenaggregate wie Heizung, Lenkung und Kompressor zusammen ist im Schnitt sehr niedrig.“
Hohe Rekuperation bergab.
Doch nicht nur bergauf, auch bergab glänzt der eCitaro fuel cell im Wintertest mit guten Leistungsdaten. Wenn Testfahrer Andreas Hoffmann vor den Kurven verzögert, steigt auf dem Kontrollmonitor der Wert für die Rekuperation auf bis zu 280 kW an. Das bedeutet: Die insgesamt vier Motoren der beiden Antriebsachsen arbeiten jetzt als Generatoren und laden die Batterien mit bis zu 280 kW auf – fast doppelt so viel wie eine Schnellladesäule. „Mehr geht nicht“, sagt Rainer Bickel. „Um die Batterien nicht zu sehr zu strapazieren, haben wir die Rekuperationsleistung auf 280 kW begrenzt.“
Bei so hoher Rekuperationsleistung überrascht es nicht, dass nach der 22 Kilometer langen Abfahrt bis Imst die Batterien fast 12 Prozent mehr SoC aufweisen, als noch auf dem Fernpass. 78,5 Prozent Ladung nach mehr als der Hälfte der Gesamtstrecke bis Bozen: eine vielversprechende Energiebilanz.
Bei der Ankunft in Bozen – nach 368 Kilometern und einer Zwischenladung von rund 75 kWh – zeigt die Batterieladeanzeige noch 56 Prozent. Und auch die Wasserstofftanks sind mit 42 Prozent so gut gefüllt, dass der eCitaro fuel cell noch gut und gern die 100 Kilometer bis zum Gardasee geschafft hätte.
Bozen ist ein Wasserstoff-Hotspot.
Nicht ohne Grund hat das Testteam Bozen als Zielpunkt der winterlichen Testfahrt ausgesucht. Denn Bozen verfügt über eine der besten H2-Infrastrukturen in Europa. Darüber hinaus bieten die rund um Bozen liegenden Dolomiten zahlreiche anspruchsvolle Passstrecken und Hochlagen, welche die Höhenerprobung des Brennstoffzellensystems und weitere Tests bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt ermöglichen.
„Die Wintererprobung ist aber nur einer von mehreren Tests, die der eCitaro fuel cell durchlaufen muss, bevor er ab Sommer in Serie geht“, betont Projektleiter Javed Shahrukh. „So haben vor allem die Wasserstofftanks und das Brennstoffzellensystem umfangreiche Sicherheitstest erfolgreich absolviert, die teilweise weit über die vom Gesetzgeber geforderten Tests hinausgehen.“ Dazu gehören Schlag- und Schütteltests ebenso wie Schlittentest mit dem Befestigungssystem, die eine Unfallsituation simulieren.
Für die Erprobung unter heißen Bedingungen ging es zuvor mit dem eCitaro fuel cell in die Lkw-Klimakammer der Truck-Kollegen in Wörth. Diese ist mit Rollenprüfstand und Windanlage ausgestattet, sodass sich realistische Fahrsimulationen simulieren und unter Extrembedingungen Stresssituationen für das Thermomanagement erproben lassen.
Dass aber trotz Klimakammer mit Rollenprüfstand Fahrten unter realen Bedingungen weiterhin notwendig sind, steht für Shahrukh außer Frage: „Die vielen verschiedenen Messergebnisse und Erkenntnisse, die wir aufgrund der großen Höhen, der steilen Strecken und der niedrigen Temperaturen auf dieser Fahrt gewinnen konnten, sind durch nichts zu ersetzen.“ Erst recht nicht, wenn das Erprobungsfahrzeug die Tests so erfolgreich absolviert wie der eCitaro fuel cell.